
Psychische Belastung in Coronazeiten
Was sind die bisherigen Fakten zu psychischer Belastung während Corona?
Mit der Corona-Pandemie nehmen Alkohol- und Medikamentenkonsum, häusliche Gewalt, Stigmatisierung, soziale Isolation und insbesondere Einsamkeit zu. Diese Faktoren stellen Belastungsfaktoren für unsere Psyche dar. Es ist also wahrscheinlich, dass die Corona-Pandemie vor allem psychische Erkrankungen verstärkt oder auch auslöst, wenn bereits eine psychische Verletzbarkeit besteht. In Praxen für Psychologische Psychotherapie erhalten wir 40%-60% mehr Anfragen nach Erstgesprächen / Sprechstunden (auch bei Praxen für Kinder und Jugendliche).
Ist ein Einfluss des Geschlechts oder des sozialen Status‘ bekannt?
Frauen scheinen durch die Belastungen der Corona-Pandemie psychisch stärker gefährdet zu sein als Männer und zeigen ein höheres Risiko, eine psychische Erkrankung zu entwickeln. So waren schwangere oder stillende Frauen sowie Frauen mit kleinen Kindern besonders belastet, besorgt und verängstigt. Woran könnte das liegen? Schließungen von Schulen, Kindertagesstätten und Pflegeeinrichtungen wirken sich stärker auf Frauen aus, da sie doppelt so viel Zeit wie Männer mit der Betreuung und Pflege von Kindern und Angehörigen verbringen. Bzgl. soziokultureller Faktoren lässt sich sagen, dass kaum ein anderer Faktor psychisch so gefährdend ist wie Arbeitslosigkeit. In einer norwegischen Studie wurden sämtliche arbeitende Personen des Landes untersucht. Gefundene Risikofaktoren für psychische Erkrankung in Zeiten der Coronapandemie waren niedriger sozialer Status und niedriges Einkommen.
Welche Daten gibt es zu psychischen Störungen bei Coronainfektion?
Corona-Erkrankte zeigen stark erhöhte Werte in Bezug auf Angst- und Depression. Ähnliche Ergebnisse zeigen sich in zwei Übersichtsarbeiten über die psychischen Folgen von Quarantäne- und Isolationsmaßnahmen. In manchen Studien berichteten sogar über 70 Prozent der Patient*innen, ängstlich und depressiv, hilflos und reizbar zu sein und ein niedriges Selbstwertgefühl zu haben als vor der Infektion.
Wie ist die Situation für Angehörige von Patienten mit Corona?
In Italien wurde eine Befragung an Menschen durchgeführt, bei denen ein nahestehender Mensch an Corona erkrankt war. Es wurden deutlich häufiger (22% mehr als sonst) posttraumatischer Stress, wie zum Beispiel Schlaflosigkeit, hohe Anspannung und Schreckhaftigkeit, Niedergeschlagenheit und Rückzug berichtet. Diese psychischen Krankheitssymptome verstärken sich noch erheblich, wenn eine Corona-Erkrankte verstirbt und im Extremfall nicht im Familien- und/oder Freundeskreis bestattet werden konnte. Hieraus ergibt sich die Empfehlung für Angehörige, Kontakt zu ihren Liebsten zu halten und sich zu melden.
Alter, Corona und psychische Belastung?
Der massive Mangel an menschlichem Kontakt und Austausch kann eine erhebliche psychische Belastung darstellen: Die ständigen Gedanken an eine tödliche Infektionskrankheit können verängstigen und der Verlust an familiärer Aufmerksamkeit und Aufgaben zu Depressivität und dem Gefühl von Sinnlosigkeit führen. Am Ende quälen sich ältere Menschen mit der Erwartung, aufgrund von Corona allein zu sterben.
Besondere Belastung der Kinder durch Corona?
Jugendliche und Kinder sind durch Maßnahmen, wie Lock-Downs psychisch besonders gefährdet. Durch die Schließung von Kitas und Schulen verlieren sie wichtige Kontakte zu Gleichaltrigen (Peers). Insbesondere bei Einzelkindern kann dies zu sozialer Isolation führen. Kleine Kinder können das gemeinsame Spiel mit anderen Kindern kaum durch Telefonate oder Internetkontakte ersetzen. Das Spiel in den Wohnungen im Lock-Down ist nicht zu vergleichen mit den Kontakt- und Bewegungsmöglichkeiten auf Spielplätzen und in Sportvereinen. Nach Berichten aus China, Großbritannien und den Vereinigten Staaten nimmt die häusliche Gewalt seit Beginn der Pandemie stetig zu. Familien verbringen mehr Zeit miteinander. Vor allem in kleinen, beengten Wohnungen fehlen hier die Rückzugsmöglichkeiten. Die Eltern sind nicht selten durch finanzielle Existenzängste stark verunsichert und können ihre Kinder dann auch weniger mental unterstützen. Solche Sorgen und Ängste enger Bezugspersonen können Verunsicherung bei Kindern und Jugendlichen weiter verstärken. Eltern müssen durch den Wegfall von Kitas und Schulen außerdem weit mehr als gewohnt ihre Betreuung übernehmen und Hausaufgaben beaufsichtigen. In Deutschland mussten rund 11 Millionen Minderjährige während der ersten Corona-Welle Kita- und Schulschließungen hinnehmen. Der tägliche Zeitaufwand für Familien- und Hausarbeit der Eltern ist immens und im April 2020 im Vergleich zu 2018 nochmals weiter gestiegen: bei Müttern von 6,6 auf 7,9 Stunden pro Tag und bei Vätern von 3,3 auf 5,6 Stunden. Für viele Alleinerziehende überstiegen die Belastungen das Verkraftbare. Sie mussten alltagspraktisch häufig Unmögliches schaffen.
Was sind schützende/protektive Faktoren?
Mehrpersonenhaushalt, zufriedenstellende Partnerschaft, höhere Bildung, große Anzahl und unterstützende soziale Kontakte, Berufstätigkeit (Home-Office als Entschleunigung), viele verschiedene Ressourcen/Hobbies
Wie kann ich dazu beitragen, die Pandemie psychisch gesund zu bewältigen?
- Allgemeine Tagesstruktur beibehalten und gleichzeitig für Abwechslung sorgen
Vermeiden Sie nach Möglichkeit Unsicherheit, Hilflosigkeit und Stresssituationen. Planen Sie also Ihre Aktivitäten für die nächsten Tage und erstellen Sie sich eine Liste an Dingen, die Sie tun möchten (positive Aktivitäten planen!). Wenn Sie im Home-Office sind, kann es helfen, die sonst üblichen Arbeitszeiten und die Arbeitsabläufe beizubehalten, um eine möglichst normale Tagesstruktur zu erhalten. Eine nette Idee könnte eine virtuelle tägliche Kaffeepause per Videochat mit Ihren Kolleginnen oder Kollegen sein.
Planen Sie neben der Arbeit auch ausreichend positive Freizeitaktivitäten und Gewohnheiten in Ihren Tagesablauf ein, die Sie gerne durchführen und die Sie bewusst genießen können. Vielleicht schauen Sie gerne einen guten Film oder haben Spaß am Lesen oder Malen (aktivieren Sie oder planen Sie neue Projekte). Bereiten Sie besondere Speisen zu und genießen Sie das Essen (ausreichend trinken – bei seelischem Stress braucht der Körper mehr Flüssigkeit). Sie können die Zeit nutzen, sich gesünder zu ernähren (ungesunde Ernährung und Alkohol bedeuten für den Körper zusätzlichen Stress). Sorgen Sie auch für ausreichenden und regelmäßigen Schlaf sowie regelmäßige Bewegung.
- Kontakte pflegen trotz Abstand halten, sich austauschen und einander helfen
Tauschen Sie sich mit Ihren Familienangehörigen und Freunden aus und motivieren Sie sich gegenseitig, mit der derzeitigen Phase gut umzugehen. Es tut zudem gut, immer wieder einmal auch andere Gesprächsthemen als „Corona“ zu besprechen. Sich mit Freunden und Familienangehörigen über Sorgen, Gefühle und den praktischen Umgang mit der Krise auszutauschen, kann enorm entlasten und psychischen Stress reduzieren. Insbesondere für ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen ist es wichtig, sich in dieser Situation nicht alleingelassen zu fühlen.
- Unangenehme Gefühle anerkennen und mit angenehmen Gefühlen beschäftigen
In der derzeitigen Situation sind Gefühle von Überforderung, Stress und Sorgen ganz gewöhnliche und natürliche Reaktionen. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht sollten diese Gefühle anerkannt und sich selbst zugestanden werden. Gleichzeitig könnte es hilfreich sein, sich aktiv vorzunehmen, sich nicht zu sehr in negative Gefühle hineinzusteigern. Konzentrieren Sie sich stattdessen besonders auf Gedanken, Erlebnisse und Aktivitäten, die positive Gefühle auslösen. Das können ganz einfache Dinge des Alltags sein, wie etwa der Kaffee am Morgen, schöne Musik oder ein Anruf bei alten Freunden.
- Informiert bleiben – aber richtig
Leider geistern viele Falschmeldungen zum Coronavirus durch das Internet, die unnötig verunsichern und verängstigen. Nutzen Sie deswegen nur vertrauenswürdige Informationsquellen (RKI, WHO).
TM